Übersicht


Dies ist eine Übersichtsseite, von der Du zu vergangenen Orten springen kannst. Ich habe diese Form gewählt, da ich das System mit dem Datum nicht mehr mag. Besser finde ich die Strukturierung nach Orten. Mein Problem ist, dass ich für jeden neuen Ort einen neuen Beitrag erstelle, der jedoch unvollendet bleibt, da ich schneller Orte wechsle, als ich schreiben kann. Mittlerweile habe ich rund 20 Entwürfe angefangen und komme nicht richtig hinterher. Die roten Orte sind fertig geschrieben, die schwarzen kommen nach und nach dazu.


Idestrup (Dänemark) Entwurf

Ein neues Jahr Entwurf

Serbien
– Wiedertreffen in Belgrad Entwurf
– Zelesnik nichts
– Killertown nichts
– Velika Plana nichts
– Camping am See nichts
– Aufbruch nichts

Türkei (West)
– Ankunft Entwurf
– Istanbul nichts
– Weg nach Ezine nichts
– Auf der Farm nichts
– Aufbruch nichts

Türkei (Nord)
– Gebse nichts
– Cide/Bartin nichts
– Sinop Entwurf
– Samsun/Trabson Entwurf

Georgien
Ankunft
– Batumi Entwurf
– in Richtung Tifilis Entwurf
– Aus Stroh und Lehm entsteht ein Haus Entwurf
– Tblisi (Tifilis, die Hauptstadt) Entwurf
– Auf nach Svaneti Entwurf
– Mestia Entwurf
– Rückweg – Aus den Bergen in die Berge Entwurf
– Borjomi Entwurf

Türkei (Ost)
– Rückkehr in die Türkei Entwurf
– Erzurum Entwurf
– Cat nichts

Türkei (Süd)
Kurdistan
– Weg zum Mittelmeer Entwurf
– Rettung naht – mit vereinten Kräften Entwurf
– Antalya Entwurf

Türkei (Ausreise)
– Planänderung – Abkürzung Entwurf
– Seifs Geburtstag am See Entwurf
– Bozüyük Entwurf
– Istanbul Entwurf
– Bis zur Grenze Entwurf

Bulgarien Entwurf

Kurdistan

Es gab kaum Verkehr – die Straße war leer. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, das meistens überfüllt war. Wir standen eine gute Weile und hatten uns bereits mental darauf vorbereitet erneut hier zu übernachten. Der Wind war kalt und unsere Motivation am Boden, als schließlich doch ein Wagen hielt. Der Fahrer konnte etwas englisch und gab an auch viel gereist zu sein – unter anderem nach Somalia. Ich fragte, ob es dort nicht problematisch sei und machte eine Geste, als hielte ich ein Gewehr. Daraufhin zog er eine Handfeuerwaffe und sagte: „no problem“. Er musste links abbiegen und von dort aus waren es noch 4 km zum nächsten Ort.

Wir machten kurz Pause um die Reste des Frühstücks zu essen, bevor wir auf den Ort zugingen. Wir versuchten weiterhin zu trampen und ein älterer Mann nahm uns mit bis zum Ortsausgang, der in unsere Richtung führte. An einer Tankstelle standen wir und hoben die Daumen. Später hielt ein Auto mit zwei Insassen und einer leeren Rückbank, sowie reichlich Platz im Kofferraum. Der Fahrer war aus Batman (ja, der Ort heißt wirklich so), was relativ nahe an unserem Zielort war. Die Fahrt war eine große Hilfe, denn es waren weit über 100 km. Während dieser Strecke kamen wir an drei Straßensperren vorbei, die vom Militär unterhalten wurden. Man sah Männer mit Maschinengewehren, schusssicheres Glas und gepanzerte Fahrzeuge mit schwerer Bewaffnung. Jedes Mal wurde unser Pass kontrolliert und das kam uns irgendwie übertrieben vor. Als wir den Fahrer darauf ansprachen und fragten, ob es an der Nähe zum Irak und Syrien läge, lachte dieser nur und teilte mit, dass das normal sei, denn hier sind wir in Kurdistan.


Ich nenne es bewusst Kurdistan, obwohl es diesen Staat überhaupt nicht gibt. Doch es sollte ihn geben und fast hätte es geklappt. Nach dem ersten Weltkrieg hatte man ein Gebiet vorgesehen, in dem die Kurden leben sollten. Die Türkei hat das Gebiet jedoch nicht her gegeben und unterdrückt das kurdische Volk bis zum heutigen Tag mit militärischen Mitteln. Die kurdische Bevölkerung lebt im Süden der Türkei, im Norden Syriens, sowie des Iraks und im Westen des Iran und ist mit über 40 Millionen zahlenmäßig die größte Nation ohne einen eigenen Staat. Das bedeutet auch, dass keiner von ihnen gültige Ausweisdokumente besitzt und somit auch nicht legal ausreisen kann.
Sicher hast Du auch mitbekommen, dass Erdogan jetzt gerade den Norden Syriens und somit gezielt die Kurden bombardiert. Das lasse ich mal kommentarlos so stehen…


An einer Weggabelung ließ er uns aussteigen und nach einigen Überlegungen forderte er uns auf erneut einzusteigen; er werde uns in die Innenstadt von Dyarbakir bringen.

Kaum waren wir aus dem Auto ausgestiegen, erregte Tetris die Aufmerksamkeit eines kleinen Jungen mit Vater. Der Vater wollte, dass der Junge ihn streichelt. Dieser hatte jedoch zu viel Angst und traute sich nicht. Nach etwa 10 min „schau, ich tue es doch auch“ und „mach schon!“ (das ist meine Interpretation ihrer Unterhaltung), gab er auf und wir zogen weiter. Wir erfuhren hier sofort eine positive Stimmung. Die meisten Leute lächelten freundlich und es gab wesentlich weniger Menschen, die vor Tetris Angst hatten, was man vom Rest der Türkei nicht behaupten kann.


Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Hier gibt es riesige Straßenhunde und nicht alle davon sind friedlich. Viele Kinder hatten irgendwann mal eine negative Begegnung mit einem dieser Biester.
2. Im Islam gilt der Speichel des Hundes als schmutzig. Wenn man eine Schüssel reinigen muss, aus der ein Hund getrunken hat, muss man sie 6 mal mit Wasser und einmal mit Sand auswaschen, bevor man daraus essen oder trinken kann. Man kann einen Hund zwar streicheln, aber nicht wenn dieser nass ist. Doch viele gehen lieber kein Risiko ein und meiden Hunde grundsätzlich.


So gingen wir durch die Straßen auf der Suche nach einem Imbiss, bei dem man draußen sitzen kann. Wir fanden auch einen, der noch geöffnet war und hatten jeder zwei Toast und eine Cola für zusammen 26 TL.

Seif suchte die Karte nach grünen Flecken ab, die sich als Zeltplatz eignen konnten und nahe genug für einen kurzen Fußmarsch waren. Nach der erfolgreichen Suche, folgten wir dem Handy. Wir blieben an einer Wasserstelle stehen und füllten unsere Flaschen auf. Dabei kamen drei Einheimische auf uns zu und sprachen uns an. Einer von ihnen warnte uns vor großen Hunden und Schlangen, die uns bevor stünden, wenn wir unser geplantes Ziel weiter verfolgten. Er zeigte auf eine Stelle direkt neben uns und versicherte, dass es dort keine Probleme gäbe. Es war eine Sitzbank vor einer alten Stadtmauer, die von Rasen umgeben war. Dort war es hell beleuchtet und konnte von allen Seiten eingesehen werden. Doch hinter der Mauer gab es Sichtschutz und so bauten wir die Zelte dort auf. Die Kommunikation mit unserem neuen Freund war holprig, da er kein Wort englisch sprach. Doch google übersetze für uns und auch die Hände funktionieren irgendwie. Wir hatten seit Zugdidi keine Dusche mehr gehabt und fragten ihn nach einem Hamam, wo wir am nächsten Tag hin wollten. Er wollte uns um 10 Uhr hier abholen kommen und dorthin begleiten. Also verabredeten wir uns für den kommenden Morgen und gingen, nach einem langen Abschied, schlafen.

15.10.

Wir wurden gegen 8 Uhr wach und sehnten uns nach einem Kaffee und Menemen. Also klapperten wir die nahe liegenden Läden ab, fanden jedoch nur den Kaffee. Obligatorisches Laden und Zeit schinden, damit man so viel wie möglich Batterie gewinnt, war angesagt. Der türkische Kaffee ist winzig – wie ein Espresso, nur mit Satz in der Tasse. Also bestellten wir danach Cay (Tee) und nippten an unseren Gläsern. Als es Zeit war unseren Freund zu treffen, weckten wir den Besitzer, der gegenüber in der Sonne döste, und bezahlten. Die 15 TL kamen uns etwas teuer vor – der Kaffee lohnte sich nicht wirklich (6-facher Tee-Preis), zumal wir auch selbst viel besseren Kaffee hatten.

Als wir zu den Zelten zurückkehrten, war unser Freund bereits dort. Wir gingen durch die überfüllten Straßen, an den unzähligen kleinen Lädchen vorbei und Seif wurde langsam genervt von unserer Begleitung, die ständig in seine Komfortzone eindrang. Ich war mit Tetris an der Leine beschäftigt und irgendwie froh darum, dass ich nicht genervt wurde. So nett er auch war, uns durch die Stadt zu führen, er hatte etwas lästiges an sich. Außerdem wären wir eigentlich viel lieber alleine unterwegs gewesen. Der Hamam, den wir ansteuerten, war geschlossen und der nächste war zwei Kilometer entfernt. Die Sonne brannte erbarmungslos und wir waren sowieso schon genervt. Als wir ankamen, band ich Tetris draußen an, doch einer der Männer vor dem Gebäude führte uns in eine Tiefgarage, wo es für ihn sicherer sei.


Hamam ist ein Badehaus, wie es sie schon zu Zeiten der Römer gab. Früher waren das soziale Orte, wo man sich trifft und über Politik oder was auch immer sprach. Heute scheint das aus der Mode gekommen zu sein, denn wir waren die einzigen Gäste, was uns ehrlich gesagt ganz recht war. Frauen trifft man hier keine. Die müssen in separate Räume, die ich mir bei der Größe aber nicht vorstellen kann. Wahrscheinlich ist das einfach ein Männerding.


In der Umziehkabine lag ein Tuch bereit, sowie Badelatschen. Man zieht sich aus, bindet das Tuch um, schlüpft in die Latschen, schließt die Kabine ab und behält den Schlüssel. Man bekommt ein Stück Seife und darf erstmal duschen. Dann nimmt man einen rauen Lappen, den man einseift und mit dem man sich die alte Haut abwetzt.


Bin nicht wirklich Fan dieser Methode. Man muss nicht den ganzen Körper einseifen, sondern nur Hände, Füße, Brust und Rücken. Außerdem war meine Haut danach total trocken und rissig. Wir haben aus gutem Grund eine schützende Fettschicht auf der Haut. 


Dann hat man die Auswahl zwischen Dampfbad und Sauna und ein Becken mit kaltem Wasser. Nichts besonderes aber mit 25 TL einigermaßen günstig. Wir verbrachten rund eine Stunde dort und unser Freund kam immer mal wieder rein um nach uns zu sehen und „oh my god“ zu rufen, die Temperatur in der Sauna betreffend (kein Wunder, wenn man angezogen ist). Als wir fertig waren, wartete er immer noch auf uns und brachte Eile in unseren Entspannungstag, indem er ansprach, dass unsere Zelte unbeaufsichtigt und somit nicht vor Diebstahl sicher seien. Er führte uns durch ein Labyrinth aus engen Hintergassen, was sich als enorme Abkürzung herausstellte. Selbstverständlich wurden die Zelte nicht angerührt und alles war noch da. Er lachte, als habe er uns auf den Arm genommen. Wir wollten erst etwas essen, was wir den ganzen Morgen noch nicht getan hatten und die Zelte später abbauen. Doch als unser Spaßvogel das ausgetrocknete Gras auf der Mauer neben den Zelten anzündete, packten wir sofort zusammen und überlegten, wie wir diesen Kerl los werden könnten. Wir bedankten und verabschiedeten uns einfach und gingen dann in die andere Richtung, was erstaunlich gut klappte.

Der Karte nach zu urteilen waren es gute 5 km um die Straße aus der Stadt zu erreichen. Wir hielten um zu essen und versuchten uns dann an einer Abkürzung, weil wir Fußweg sparen wollten. Es war vielleicht der direkteste, doch nicht der einfachste Weg. Es gab reichlich Steigungen und wir mussten mehrere Pausen einlegen. Dazu kam, dass sich überall Kinder tummelten und wir konnten nirgends vorbei, ohne umzingelt zu werden. Jeder will Tetris streicheln, die Leine nehmen, den einzigen englischen Satz, sagen, den man kennt und wenn man einfach weiter läuft, wird man mehrere Blocks weit verfolgt. Das war am Anfang ganz süß und witzig, doch mit den schweren Taschen in der prallen Sonne geht einem das irgendwann sowas von auf den Sack, dass man am liebsten Schellen verteilen würde. Besonders Seif war ultra genervt, ignorierte alle und ging einfach weiter. Aber man wird am Ärmel gezogen und angetippt und ist diesem Wahnsinn hilflos ausgeliefert. Wenn man Glück hat, kommt ein Erwachsener und verscheucht die Gören. Ansonsten muss man hoffen, dass sie irgendwann die Lust verlieren.

Wir waren nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt, als wir wieder eine ganze Schaar von Followern hatten. Jetzt war auch ich genervt. Egal was man sagt, es versteht sowieso keiner. Der Ton wurde rauer und wir gaben zu verstehen, dass wir keinen Bock haben und sie sich endlich verpissen sollen. Daraufhin warfen sie Steine nach uns und einer davon traf Seif am Bein. Er drehte sich um und schrie die kleinen Teufel an, was das soll. Daraufhin kam ein Mann, verteilte erstmal ein paar Schellen und entschuldigte sich bei uns. Dann zeigte er uns den Weg durch ein Privatgelände, denn der Weg wurde von einer Mauer blockiert. Dort zeigte er uns zwei Äffchen in einem Käfig. Tetris stand nur da und sah total irritiert auf diese Kreaturen, die er noch nie gesehen hat. Die Affen waren aggressiv und sprangen ständig an die Käfigwand, was Tetris zurückschrecken ließ. Man kann es ihnen auch nicht verübeln, wenn man bedenkt, dass sie normalerweise von Baum zu Baum springen und jetzt eingesperrt sind.

Das Grundstück stand direkt an der Straße, die nach Urfa führt. Wir begannen zu trampen und bald kamen zwei der Kinder zurück um zu nerven. Wir nahmen unsere Taschen und gingen einfach weiter die Straße entlang, bis wir weit genug weg waren und die Kinder umkehrten. Es wurde langsam dunkel und wir gaben schließlich auf. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein viel versprechendes Feld zu sehen, das wir uns genauer ansahen. Aus der Nähe wurde deutlich, dass es umzäunt und mit Stacheldraht gesichert war. Also gingen wir den Zaun entlang und hofften auf ein baldiges Ende. Hinter dem Zaun kamen zwei große Hunde angerannt und bellten uns an. Hinter dem Feld war eine hohe Mauer und dahinter sah man Türme in regelmäßigen Abständen. Ein Schild am Zaun sagte „ferngesteuerte Fluggeräte verboten“.

Am Ende des Zauns war eine Rasenfläche und danach ein Fußballfeld, wo ein Spiel stattfand. Wir blieben stehen und schauten sehnsüchtig auf das Gras. Wir waren total müde und schlecht gelaunt und wollten einfach nur schlafen. Plötzlich wurden wir von zwei jungen Kerlen angesprochen und unterhielten uns ein wenig. Wir fragten ob sie einen guten Zeltplatz nennen könnten und sie zeigten auf den Rasen neben uns. Wir zeigten auf den Zaun und die Kameras „problem?“. Doch sie sagten nur: „no problem, no problem“. Das genügte uns und wir gingen hinter das Fußballfeld, wo es etwas weniger, doch immer noch gut beleuchtet war. Wir setzten die Rucksäcke ab und packten die Zelte aus, als einer kam und uns mitteilte, dass uns die Kameras hier sehen könnten. Er sprach kurz mit einem hinter der Mauer, der ihm Anweisungen gab, wo die Stellen waren, die die Kamera nicht sehen kann. Also wechselten wir den Ort und fingen dort erneut an. Die Leute um uns herum versuchten uns zu helfen und als wir erklärten, dass wir keine Hilfe bräuchten, saßen sie nur auf der Bank und beobachteten uns die ganze Zeit. Als wir unser Zelt aufgebaut hatten und endlich bettbereit waren, kam ein gepanzerter Polizeiwagen angefahren. Heraus kamen drei Männer, die uns auf türkisch ansprachen. Wir erwiderten „no türkisch, english?“ und die Männer telefonierten, nachdem sie unsere Pässe entgegen genommen hatten. Kurz darauf kam ein weiteres Fahrzeug der gleichen Bauart und weitere drei Männer kamen dazu. Auch sie schauten sich die Pässe an und telefonierten. Dann gab man mir das Telefon und die Stimme am anderen Ende der Leitung erklärte, dass wir uns auf Militärgelände befänden und hier nicht zelten dürften. Ich erwiderte, dass ich verstanden habe und gab das Telefon zurück. Danach gab ich Seif bescheid und wir bauten die Zelte wieder ab. Als wir fertig waren, fragten wir, ob wir nun die Pässe zurück bekämen und man sagte uns, dass wir noch warten müssten. Einer der Soldaten, der der wohl am besten englisch konnte, stellte uns verschiedene Fragen. Was wir hier tun, wo wir hin wollen, ob wir hier Freunde haben, usw. Dann wollten sie unsere Handys sehen, denn sie waren an den Bildern interessiert. Seif zeigte unsere Fotos aus Georgien und es war kein Foto aus der Türkei dabei. Irgendwann bekamen wir die Pässe zurück und durften gehen.

Also erneute Suche nach einem Zeltplatz. Auf der Karte war ein großes grünes Areal, das viel versprechend aussah und das wir ansteuerten. Auf dem Weg kauften wir Zwiebeln und Kartoffeln. Als wir am Zielort ankamen, stellten wir fest, dass es ein riesiger Friedhof war – zu beiden Seiten der Straße. Ernüchtert ließen wir die Rucksäcke zu Boden und suchten nach weiterem Grün. Etwa zwei Kilometer weiter musste ein Park sein. Also rauchten wir eine, bevor wir weiter gingen. Währenddessen hielt ein weiterer Panzerwagen und schon wieder mussten wir die Pässe zeigen. Diesmal ging alles viel schneller. Wahrscheinlich kannte man uns dort mittlerweile.

Die Friedhofsmauer schien kein Ende zu nehmen. Die Gräber bestanden aus Randsteinen und sahen alle gleich aus. Am Ende sah man hunderte neuer Gräber, die noch nicht belegt waren. Dahinter freies Feld und danach Randsteine auf Paletten. Das war ein merkwürdiges Bild. Als ob man sich für mehr Tote vorbereit – die Manufaktur direkt vor Ort. Dort wo der Friedhof endete, war ein kleiner Park, zur Seite begrenzt durch ein Baumwollfeld, spärlich beleuchtet und ruhig – ideal für unsere Zwecke. Wir belagerten eine Grasfläche und waren heilfroh endlich schlafen zu können.

16.10.

Ich wurde wach, als ein Mann in mein offenes Zelt schaute. Ich hatte es offen gelassen, da Tetris meistens vor mir wach wird, mich weckt und nach draußen will. Ich schaute aus dem Zelt und sah ich drei Männer, zwischen 30 und 50 Jahren, die etwas weiter weg zusammen saßen. Als ich aufstand und die Hand zum Gruß hob, winkten sie mich heran. Ich ging auf sie zu und sah, dass sie Gras rauchten und zwar mit einer 2-Liter-Flasche Cola in einer 5-Liter-Flasche Wasser. Sie boten mir „Frühstück“ an und ich lehnte aus Höflichkeit nicht ab. Seif war mittlerweile auch aufgestanden und wir kochten Kaffee und bereiteten das richtige Frühstück zu.

Das Wetter war heiß und trocken, denn wir befanden uns in subtropischem Klima. Wir ergriffen die Chance um unsere Zelte zu reparieren, denn wir mussten Zeit zum trocknen einplanen. So entschieden wir den Tag hier zu verbringen. Es gab eine Wasserstelle und ich nutzte die Gelegenheit um Wäsche zu waschen. Immer wieder kamen Leute um zu rauchen. Morgens die Alten, mittags die mittleren Alters und abends die Jungen. Später erfuhren wir, dass diese Stadt so eine Art Hotspot für Gras ist. Vielleicht sind die Leute deshalb so entspannt hier. Abends machten wir ein kleines Feuer und gingen dann, in der Absicht am nächsten Morgen aufzubrechen, schlafen.

17.10.

Am morgen waren wieder die gleichen Alten hier. Wir kochten Kaffee, packten zusammen und gingen los. Unterwegs machten wir kurz halt, tranken cay und luden unsere Geräte. Wir mussten eine Zeit lang laufen, bis wir trampen konnten. An einer Bushaltestelle standen wir recht lange und dann kam der Regen. Zunächst dachten wir, dass das Unwetter vorbei ziehen würde, doch es kam heftig auf uns herunter. Wir waren unter dem Dach der Bushaltestelle geschützt, doch es wurde auch schon bald dunkel und so mussten wir einen neuen Schlafplatz finden. Es gab einen kleinen Park auf der Karte und so gingen wir in dessen Richtung, als der Regen nachgelassen hatte. Unmittelbar vor der Straße, die links weg führt, war ein keiner Laden „Ibrahim Market“ und wir wollten dort Gemüse und Sachen für das Frühstück kaufen. Als der Besitzer uns durch die Scheibe sah, winkte er uns herein, gab uns zwei Stühle und bat uns mit einer Handbewegung, dass wir uns setzen sollten. Dann bot er uns Kaffee an und fragte, ob wir hungrig seien. Mit google übersetzte er: „food from home will come“. Kurz darauf erschien ein Junge mit einem Tablett mit zwei Tellern Reis und einem Teller gegrillten Hühnchens. Als wir aufgegessen hatten, forderte er uns auf sitzen zu bleiben und zeigte uns die Übersetzung „Allah has send you as guests“. Es kam einer seiner Freunde, der ein wenig englisch konnte und so unterhielten wir uns etwas. Ein Nachbar würde am nächsten Morgen mit dem LKW nach Mersin fahren und könne uns mitnehmen, erklärte der Freund. Dieser kam später in den Laden, stellte sich vor und wir verabredeten uns. Er würde uns zwischen 6 und 7 Uhr abholen. Dann ging er wieder. Im Fernseher lief eine Tierdoku, was gelegen kam, als uns der Gesprächsstoff ausging. Wir fragten, ob der Park, den wir auf der Karte gefunden hatten, zum Zelten geeignet wäre und er verneinte. Dafür gäbe es auf der gegenüberliegenden Seite ein verlassenes Gebäude, das wir in Beschlag nehmen könnten.

Es war eine kleine Ladenfläche mit drei Wänden und Laminat. Es gab sogar einen funktionierenden Wasseranschluss. Wir bauten die Zelte nicht auf und breiteten nur die Matten aus. Ein neugieriger Junge kam auf uns zu und fragte, ob wir irgendetwas bräuchten. Wir lehnten dankend ab, doch kurz darauf kam einer seiner Freunde und brachte uns eine Tüte mit zwei Sandwiches, einer Flasche Cola und Kekse. Später kam er nochmal und brachte eine Decke vorbei. Das schien nicht wirklich verhandelbar zu sein. Seif aß sein Sandwich (Tomate und Huhn) sofort, während ich es mir für das Frühstück aufsparte.

18.10.

Wir waren pünktlich wach und packten zusammen. Dann warteten wir. Als gegen 8 Uhr noch kein LKW aufgetaucht war, rollte ich die Matte wieder aus. Seif versuchte mehrfach anzurufen, doch keine Rufannahme. Gegen 9 Uhr hatte auch Seif aufgegeben und wir liefen los, bis wir an eine geeignete Stelle zum trampen kamen. Nach einiger Zeit hielt ein neuer Mercedes. Der Fahrer war Arzt und hatte seinen blauen Kittel an. Er nahm uns bis auf 50 km vor Sanliurfa mit. Als wir ankamen, fragte er, ob wir hunger hätten. Ich entgegnete, dass wir etwas aus dem Supermarkt kaufen und kochen würden. Er hielt vor einem Restaurant, ging rein, kam kurz darauf wieder raus und verabschiedete sich. Wir bestellten Cay und bekamen bald darauf Suppe, die der Arzt bezahlt hatte. Danach wechselten wir die Straßenseite und trampten weiter. Wir hatten wenig Glück und nach langer Zeit hielt ein Bus. Der Fahrer war einverstanden Tetris auch mitzunehmen, was äußerst ungewöhnlich war. Er wollte 10 TL pro Person und wir waren verzweifelt genug um den Preis zu bezahlen.

Der Bus brachte uns nach Sanliurfa, was jeder nur Urfa nennt – eine weitere Millionenstadt. Wir stiegen etwa in der Mitte der Stadt aus und mussten etwas laufen um zu einem Park zu gelangen. Dort gab es Toiletten und Trinkwasser. Wir kochten Dal und bauten die Zelte auf. Die Leute hier schienen wesentlich weniger an uns interessiert zu sein, was uns, nach Dyarbakir, irgendwie recht war. Vielleicht lag es an dem hohen Anteil arabischer Menschen, die hier lebten. Seifs Sprachkenntnisse stellten sich hier als sehr hilfreich heraus.

19.10.

Der Mann, der sich um den Park kümmerte, warnte uns, dass er die Sprinkleranlage einschalten würde und wir unsere Zelte abbauen sollten. Wir waren froh über die Warnung und zogen zu einer Sitzgruppe um, wo wir Kaffee und Haferflocken kochten. Ab und zu setzte sich jemand zu uns und wollte wissen, wo wir her kommen, was wir machen, usw. Nichts ungewöhnliches, passiert ständig. Mittlerweile konnten wir auch auf türkisch antworten. Aus Urfa kamen wir relativ schnell wieder raus und hatten Kurdistan damit verlassen.

Georgien

Anmerkung:

Um die Wartezeit zu verkürzen veröffentliche ich einige aktuelle Beiträge. Bis ich die Vergangenheit aufgeholt habe und chronologisch veröffentlichen kann, vergeht einfach zu viel Zeit. Wer sich wundert, warum ich mit „Wir“ beginne, sollte wissen, dass ich momentan in Begleitung reise. Jane und Seif, die ich von Belgraid kenne, reisen mit. Aber nach und nach werden hoffentlich alle Unstimmigkeiten beseitigt werden.


Wir überquerten die Grenze mal wieder zu Fuß. Der Autoschalter funktionierte wieder nicht – das heißt Fußgängerdurchgang. Da zahlreiche Busse die Grenze ansteuern, war die Schlange ungewöhnlich lange. Auf der türkischen Seite gab es keine Probleme. Naja, bis auf die Tatsache, dass mein Bild mit meiner jetzigen Erscheinung nicht wirklich übereinstimmt, was für prüfende Blicke sorgt. Aber als Deutscher hat man Vorteile – ich nenne das gerne „white privilege“.

Auf der georgischen Seite waren vier Pass-Kontroll-Schalter in Betrieb. Wir entschieden uns für den ersten, was sich später als großer Fehler herausstellte, denn die meisten stellten sich dort an. Das führte dazu, dass die meisten neu Ankommenden versuchten sich in der ersten Schlange von der Seite rücksichtslos hinein zu schieben. Jane und ich, mit unseren großen Rucksäcken nahmen entsprechenden Platz in Anspruch und wurden in alle Richtungen geschoben. Die Leute in der Schlange wurden immer aggressiver und gifteten sich gegenseitig dermaßen an, dass ich dachte, dass jederzeit ein Kampf stattfinden würde. Wie erwartet, wurden ausgerechnet wir (alle drei) nicht sofort durch gelassen, sondern mussten warten, während Vorgesetzte gerufen wurden.

Letzten Endes kamen wir doch alle durch und waren total erleichtert. Grenzen schaffen es irgendwie immer ein gewisses Unbehagen zu erzeugen – selbst wenn es dafür eigentlich keinen richtigen Grund gibt.

Ich hob erst mal Bargeld ab. Die Währung hier heißt „Lari“ und steht etwa im Verhätnis 3:1 – das heißt 1 € sind rund 3 Lari. Danach liefen wir die einzige Straße entlang, die von der Grenze weg führte und kamen an einem Kiosk vorbei, wo wir erstmal die Bierpreise betrachteten. Man bekommt 2,5-Liter-Flaschen für etwa 1,50 € – was nach türkischen Preisen (2,50 € für 0,5 l) einen unglaublichen Unterschied ausmacht . Wir setzten unsere Rucksäcke an einer Stelle ab, wo rechts parkende PKW´s bereits abgefahren waren und trampten.


Ich werde in den folgenden Beiträgen in Georgien die Preise in Lari angeben. Einfach merken: durch drei teilen.


Wir wurden nach etwa einer halben Stunde von einem Einheimischen mitgenommen, der alleine im Auto saß. Er sprach nur sehr schlecht englisch, doch ich fand heraus, wie man danke und hallo sagt und begann eine neue Seite in meinem Fremdsprachenbuch. Der Fahrer brachte uns nach Batumi – etwa 15 km von der Grenze entfernt. Als wir ausstiegen, fragten wir, wo wir zelten könnten. Er zeigte in eine Richtung und sagte : „here problem“ und dann in eine andere Richtung: „here no problem“.


Batumi erscheint einem, wie ein kleines Las Vegas. Überall sind Casinos und Hotels. Wir nannten es Haramistan (Haram ist Sünde im Koran), weil alle Muslime der angrenzenden Länder sich hier austoben können. Ein Türke hatte erklärt, dass man mit türkischem Pass nur einen Tag ohne Visa in Georgien bleiben könne. Da Batumi die erste große Stand an der Grenze ist, sammeln sich hier jene, die in ihrem Land ein vielfaches für Alkohol bezahlen müssen und wo Glücksspiel verboten ist.


Wir hatten Hunger und suchten ein günstiges Restaurant mit vegetarischen Optionen. Es scheint traditionell viele Mehlspeisen zu geben – vermutlich durch den russischen Einfluss. Teig und Käse dominieren die Karte. Wir bestellten Bohnen in einem Tongefäß und zwei Mehlspeisen – eine Art Pizza mit weißem Käse und eine „kleine“ Teigtasche mit Ei, dazu drei Bier vom Fass. Wir hatten richtig zu kämpfen und ließen uns den Rest einpacken. Wir zahlten 50 Lari, was im nachhinein betrachtet ungewöhnlich viel war. Als wir später nachrechneten, stellten wir fest, dass sich die Bedienung ein gutes Trinkgeld gegeben hatte…

Wir verschwendeten nicht allzuviel Zorn darüber und kauften erstmal Bier ein. Damit gingen dann in die Richtung „no problem“, was sich als der Strand herausstellte. Dieser bestand aus einer Mischung aus dunklem Sand und flachen Steinen. An einer Stelle, wo der Sand überwiegte, machten wir halt und bauten unsere Zelte auf. Wir tranken aus und gingen anschließend schlafen.

Kurzzusammenfassung

Vorwort:

Mir ist durchaus bewusst, dass hier noch ein ganzes Jahr zwischen diesem und dem letzten Beitrag liegt. Doch in der letzten Zeit hatte ich so viele neue Erlebnisse, dass ich diese nicht verblassen lassen möchte und so langsam wird es Zeit aufzuholen. Hier werden also bald mehrere Beiträge folgen. Ich springe chronologisch hin und her und habe Entwürfe, die noch strukturiert und weiter ausgeführt werden müssen – alles noch ziemlich chaotisch, aber es geht voran. Vor allem der folgende Text ist alles andere als vollständig und ich bin auch in keiner Weise mit der Komprimierung zufrieden. Aber ich will mich auch nicht zu lange mit der Vergangenheit aufhalten – mich eher auf die Gegenwart konzentrieren. Alles wieder aus dem Langzeitgedächtnis zu kramen ist mir zu mühseelig und auch zu langatmig. Außerdem werden die Geschichten erst durch die kleinen Details interessant, die man leider viel zu schnell vergisst. Und (Spoiler!) während meiner jetzigen Zeit in der Türkei entstehen die besten Geschichten…

Also hier die Schnellversion des letzten Jahres:

Von Calais mit dem Bus nach Bordeaux, denn trampen war ein Alptraum. Bin noch nie in so „kurzer“ Zeit (7 Stunden) so oft beleidigt worden. Also nichts wie weg von hier. In Bordeaux dann dreißig Stunden an einer Tankstelle gewartet (neuer Rekord). Irgendwann mit einem Trucker nach Madrid gekommen. Zelten in Parks ist dort kein Problem, doch mit Hund ohne Maulkorb darf man nicht in die Metro und muss alles laufen. Ein Flixbus-Ticket nach Lissabon gebucht, doch der Fahrer ließ mich wegen Tetris nicht einsteigen und fuhr ohne mich. Keine der anderen Busgesellschaften ließ sich erweichen und so saß ich erstmal dort fest. Hab ein paar spanische Freunde kontaktiert und bekam prompt eine Freundin eines Freundes vermittelt, die in Madrid wohnt – eine Wohngemeinschaft mit fünf Studentinnen. Konnte dort eine Weile bleiben, Handy laden und WLAN nutzen um ein BlaBlaCar zu finden. Fand auch eins und ließ mich in Lissabon am Hafen absetzen. Dort traf ich Megan und Troy, zwei Freunde, aus der Zeit in Budapest, die auf einer Yacht (ein dreimastiges Segelboot) arbeiteten. Wir blieben eine Nacht auf der Yacht und sind dann in den „Monsanto“-Wald zum zelten. Dort lernten wir Berit kennen, die einen Campervan mit Landauer (!) Kennzeichen hatte. Felipe, ein Freund aus Lissabon kam mit dem Auto vorbei und nahm uns zu einem tollen Aussichtspunkt mit. Als wir zurück kamen, stand einer neben Berits Van und wartete. Kevin, ein Deutscher, dem das Geld ausgegangen war, suchte nach einer Mitfahrgelegenheit zurück nach Deutschland. Er hatte auch einen Hund (einen großen), der sich mit Tetris gut verstand. Leider fuhr Berit noch nicht zurück, konnte Megan und Troy jedoch nach Porto mitnehmen, wo sie hin wollten. Kevin verschwand wieder und ich blieb mit Felipe zurück. Am nächsten Tag kam Kevin zurück und hatte eine Babykatze dabei, die er in einem Park aus dem Müll gefischt hatte. Ich wollte auch nach Norden und bot an gemeinsam zu trampen. Es dauerte eine Weile, bis wir die richtige Stadtautobahn fanden und den ganzen restlichen Abend hielt niemand. Er hatte auch ein Zelt dabei und so campten wir in unmittlebarer Nähe in einem Wohngebiet. Am nächsten Tag warteten wir viele Stunden an einer Tankstelle, wo eine Frau uns eine Schüssel mit Wasser für die Tiere und Tüte voll mit Essen schenkte. Später nahm uns ein Portugiese bis nach Dieppe, an der französischen Nordküste, mit – fast 2000 km in drei Tagen (neuer Rekord). Es war ein kleiner Lieferwagen mit drei Frontsitzen und Ladung dahinter. Auf der Fracht lag eine Matratze, die dem Fahrer als Bett und den Hunden als Liegeplatz diente. Die Katze hatte die ganze Fahrt Durchfall und schiss ständig in die Tasche, in der sie wohnte und Kevins Hund kotzte irgendwann auf die Fracht, fraß aber alles wieder auf. Wir fuhren die ganze Nacht hindurch und machten am frühen Morgen Rast um zu schlafen. Gegen Mittag fuhren wir dann weiter. Die französischen Autobahnraststätten sind unverschämt überteuert, weshalb wir vor hatten nach Ankunft in einem Supermarkt Nahrungsmittel zu kaufen. Unglücklicherweise kamen wir an einem Feiertag (Pfingsten) an und alles war dicht. So hingen wir im McDonalds ab und leerten die nicht vollständig geleerten Tabletts. Einer gab uns sogar zwei Hamburger. Später am Abend durchsuchten wir den Müllcontainer vor einem Steakhaus und fanden zehn gegrillte Kartoffeln und einen riesigen Burger, von dem noch nicht abgebissen wurde. Das war mehr als genug und die Kartoffeln waren guter Proviant für den Weg. Da wir bereits in der Nähe waren, steuerten wir Calais an und so fand ich mich erneut dort wieder. Kevin zog nach ein paar Tagen weiter und ich blieb noch drei Monate dort. Mich erreichte die Nachricht, dass Michael aus den Staaten (ebenfalls ehemaliger Belgraider) gerade in Dänemark war. Sein Visum war fast abgelaufen und ich wollte ihn noch treffen, solange ich die Gelegenheit hatte. Also machte ich mich auf den Weg über Belgien und blieb ein paar Tage in Eindhoven. Durch Deutschland kam ich relativ zügig und versuchte mein Glück erneut im Skandinavian Park in Flensburg. Dort fand ich problemlos einen Familienvater mit zwei Söhnen, der mich bis zur Insel Farö mitnahm. Dort schlief ich an einer Raststätte und am nächsten Morgen weiter zur Nachbarinsel Falster. Der Fahrer fuhr mich direkt nach Idestrup, wo sich Michael aufhielt.

Da es sich bei diesem Aufenthalt um einen längeren handelt, sei diesem ein eigener Beitrag gewidmet…

Calais – Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Es sollen noch viele Tage folgen, an denen Tetris in Haft war, weil er keine Papiere hatte – die Ironie ist erschreckend, wo doch die Gefluechteten das selbe Schicksal teilen.

Ich werde meine Zeit in Calais hier zusammenfassen, da es mir nicht mehr moeglich ist, einzelne Tage voneinander zu trennen.


In Belgrad sind die meisten Gefluechteten in Camps untergebracht, womit die Grundbeduerfnisse groesstenteils gedeckt sind. Man sollte annehmen, dass sich die Bedingungen, in einer westlichen Industrienation, wie Frankreich, verbessern. Die Realitaet ist ernuechternd!

Vor ca. zwei Jahren war hier in Calais das groesste Camp Europas mit rund 10.000 Gefluechteten unterschiedlichster Nationen. Es gab staendig Spannungen, nicht zuletzt wegen nationaler Konflikte. Ausserdem berichteten die Medien und Calais bekam einen schlechten Ruf. Die Regierung schritt ein und schloss das Camp. Gleichzeitig wurden riesige Summen (groesstenteils aus England kommend) in Sicherung investiert. Die Stacheldraht- und Ueberwachungskameraindustrie muss ein Vermoegen verdient haben.

Heute leben die Gefluechteten versteut in kleineren Kommunen, die meistens Leute einer Nationalitaet beheimaten. Geschlafen wird in Zelten und wir bringen Wasser, Essen, Feuerholz, Strom zum Laden der Handys, WLAN, Tee, Kleidung, Zelte, Schlafsaecke, Decken und Hygieneprodukte. Ausserdem Krankenhausfahrten, rechtliche Beratung und Bildung – der Staat macht nichts.

Nun ja… nichts kann man nicht sagen. Nichts, das den Leuten hilft, trifft es wohl eher. Die Rolle des Staates liegt darin, den Leuten das Leben so schwer wie moeglich zu machen, damit sie sich endlich verpissen. Doch lasst mich etwas konkreter werden.

Pro Gefluechteten sind hier zwei Beamte im Einsatz und zwar von einem Sondereinsatzkommando des Militaers (CRS). Diese Einheit ist spezialisiert auf die Kontrolle von Menschenmassen, ausgestattet mit CS-Gas, Knueppel, Gummigeschossen, Helmen und Schildern. Wenn das Wetter besonders schlecht ist (und das kommt hier oft vor), wird eine „Saeuberung“ vorgenommen. Das hat mit dem Aufsammeln von Muell wenig zu tun. Zelte werden aufgeschlitzt und das Innere mit Gas ausgeraeuchert, was die Schlafsaecke und Decken unbrauchbar macht. Die auffaelligen Kleinbusse sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken und patroullieren unablaessig durch die Strassen. Gruppen werden von oeffentlichen Plaetzen verjagt – Gewalt ist an der Tagesordnung. Ich habe so viel Scheisse gesehen, dass ich nur noch kotzen koennte. Es ist eine Herausforderung fuer die Psyche diese Ungerechtigkeit zu verarbeiten. Im Namen von Freiheit, Gleichheit und Bruederlichkeit werden taeglich Menschenrechte buchstaeblich mit Fuessen getreten.

Wenige Stunden nach der „Raeumung“ (ein passenderer Begriff), sind wir vor Ort und vergeben neue Zelte und Schlafsaecke. Somit geraten wir ins Fadenkreuz der Regierung, da wir das gewuenschte Ergebnis der Raeumung rueckgaengig machen. Ab und zu wird das Tor zu unserem Warenhaus in der Nacht mit Gas besprueht und Einschuechterungen gegen Helfer sind gaengiges Mittel. Nun beginnt der Versuch der systematischen Kriminalisierung der Helfer. Die Polizei filmt uns waehrend der Ausgaben und plant wohl dadurch ein Gerichtsurteil zu erwirken.

Gleichzeitig dokumentieren wir, wie die Staatsgewalt gegen geltendes Menschenrecht verstoesst. Ich nahm an einer internen Schulung teil, wo man lernt, welche Rechte man hat, wie man sich gegenueber der Beamten verhaelt, welche Fragen man stellt, was man tut, wenn man abgefuehrt wird usw. Grundsaetzlich gilt, dass wir die Polizei filmen duerfen. In dem Moment, wo der Beamte eine Uniform traegt, ist er keine private Person mehr, steht er im Dienste des Staates und kann sich somit nicht auf die Sicherung seines Privatrechts berufen. Nach der Aufzeichnung wird das Material auf eine Datenbank geladen, wo es fuer Menschenrechtsverteidiger zur Verfuegung steht. Der aktuelle Bericht der UN stammt unter anderem aus diesen Daten. Hier heisst es:

“We are concerned about increasingly regressive migration policies and the inhumane and substandard conditions suffered by migrants,” said Felipe González Morales, the UN Special Rapporteur on the human rights of migrants.

“Migrants, regardless of their status, are entitled to human rights without discrimination, including access to adequate housing, education, healthcare, water and sanitation as well as access to justice and remedies. By depriving them of their rights or making access increasingly difficult, France is violating its international human rights obligations,” he added.

In addition, the experts also voiced concern over harassment and intimidation of volunteers and members of non-governmental organizations providing humanitarian aid to migrants and called on France to fulfil its obligations under international human rights law and promote the work of human rights defenders.


Uebersetzung:

„Wir sind besorgt ueber die anwachsende regressive Migrationspolitik und die unmenschliche und unzureichenden Zustaende, unter denen Migranten zu leiden haben,“ sagte Felipe González Morales, der UN Spezialreporter der Menschenrechte der Migranten.

„Migranten, ungeachtet ihres Status, haben Anspruch auf Menschenrechte ohne Diskriminierung. Dazu gehoert Zugang zu angemessener Unterkunft, Bildung, Krankenversorgung, Wasser und sanitaere Einrichtungen, sowohl auch Zugang zu Recht und Medikamenten. Indem Sie ihres Rechts beraubt oder Zugang zunehmend erschwert wird, wird Frankreich seiner Menschenrechtsverantwortung nicht gerecht,“ fuegt er hinzu.

Ausserdem haben Experten ihre Besorgnis ueber Belaestigung und Einschuechterung von freiwilligen Helfern und Mitgliedern von Nicht-Regierungs-Organisationen, die Migranten humanitaere Hilfe leisten ausgesprochen und fordert Frankreich dazu auf, seine Verpflichtung des internationalen Menschenrechts zu erfuellen und die Arbeit der Verteidiger der Menschenrechte zu foerdern.

Hier der Link zum vollstaendigen Bericht.

Hier ein weiterer Link zu einem Gestaendnis eines ehemaligen CRS-Beamten.

Tetris in Quarantaene

In der Erwartung Tetris gleich mitnehmen zu koennen, nahm ich mein ganzes Gepaeck mit nach Calais und liess es im Warenhaus, waehrend ich zur LPA ging.

Anscheinend kannte man die Frau, die auf Tetris aufpasste hier bereits. Sie hatte wohl schon oefter mal einen Hund adoptieren wollen und brachte ihn nach ein paar Wochen wieder zurueck, mit der Begruendung, dass sie bald sterben werde und der Hund dann alleine in der Wohnung verhungern wuerde. Sie muss wohl ein paar psychische Probleme haben, sagte man mir. Dann erklaerte man mir, dass Tetris in Quarantaene sei. Er habe einen auslaendischen Mikrochip, der ausserhalb der EU registriert sei – somit sei dieser auf einer anderen Datenbank, worauf hier kein Zugriff besteht. Folglich muesse der Hund, um eine Infektion mit Tollwut auszuschliessen, fuer sechs Monate in Quarantaeene bleiben. Da ich seinen Pass, beim Trampen in Bosnien, im Auto vergessen hatte, konnte ich nicht beweisen, dass er alle noetigen Impfungen erhalten hatte. Also musste ich jemanden in Serbien kontaktieren, der zum Tierarzt geht, einen neuen Pass anfertigen laesst und mir die Bilder davon zuschickt. Man erlaubte mir nicht Tetris zu sehen und so ging ich enttaeuscht und wuetend zurueck zum Warenhaus.

Gluecklicherweise konnte ich dort Paletten kaputt hauen, woraus Feuerholz gewonnen wurde. Das war in dem Moment genau das Richtige – mit dem Hammer auf etwas schlagen, bis es zerbricht. Nach ein paar Stunden Zerstoerungswut, fuehlte ich mich schon etwas besser. Nach Feierabend ging ich zurueck zum Campingplatz, wo ich in netter Gesellschaft war.

Nichts wie weg von England

England ist suendhaft teuer und ich vermisste Tetris. Ich wollte nicht laenger als noetig bleiben und war froh, dass der Bus bis Calais fuhr. So sparte ich mir die Kosten fuer die Faehre und kam in der Summe auf 25 €.

Als ich am Morgen aus meinem Zelt schaute, sah ich einen Bauarbeiter am Handy, der in meine Richtung starrte. Hoechste Zeit zu verschwinden, bevor die Polizei kommt. Also packte ich zusammen und ging in Richtung Bahnhof. Ich musste mein Ticket ausdrucken und fand ein Internet Cafe direkt im Bahnhofsgebaeude – fuer ein Pfund. Zufaelligerweise traf ich Felipe und Caroline dort, die unterwegs zum Flughafen waren.

Der Bus fuhr erst um zwoelf und ich hatte noch etwas Zeit um Reiseproviant zu besorgen. Der Bus fiel aus und so musste ich fast zwei Stunden auf den naechsten warten. So kam ich gegen 19 Uhr am Haven von Calais an. Ein Franzose, dem ich zuvor beim Tragen seiner Koffer geholfen hatte, liess mich einen Anruf taetigen um die Frau, die auf Tetris aufgepasst hatte, ueber mein Kommen zu informieren. Bereits am Telefon sagte sie, dass er nicht mehr da sei und fing an eine Geschichte zu erzaehlen, der ich nicht folgen konnte. Ich fragte lediglich, ob sie zuhause sei und dass ich gleich vorbei kommen werde, wo sie mir alles erklaeren koenne.

Im Bademantel oeffnete sie zaghaft die Tuer und hatte einen Stein zur Verteidigung bereitgelegt – man weiss ja nicht, mit wem man es zu tun hat, wie sie sagte. Dann zeigte sie mir irgendwelche Dokumete, die bescheinigen sollten, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde und fast starb, so sie. Ich hatte wenig Interesse an den Gruenden, alles was ich wissen wollte war, wo mein Hund war. So gab sie mir die Adresse der LPA (sowas wie der deutsche Tierschutzbund) und gab an, dass die ab zehn Uhr geoeffnet haben.

Voellig verstoert verliess ich die Wohnung und lief zur Bushaltestelle, wo jedoch der letzte Bus bereits abgefahren war. So musste ich den ganzen Weg laufen, in der Hoffung, dass das Tor bis zu meiner Ankunft noch nicht verschlossen sein wuerde.

Ich hatte Glueck, in der Kueche war noch Licht und einige Leute waren mit dem Abwasch beschaeftigt. Ich stellte mich vor und bat an zu helfen. So schrubbte ich ein paar Toepfe bevor das Warenhaus abgeschlossen wurde. Man nahm mich mit zum „Old Lidl“, ein Ausgabepunkt, wo eine afghanische Kommune wohnt. Wir standen eine Weile am Lagerfeuer und fuhren dann auf den Campingplatz, wo quasi alle langzeit Helfer wohnten. Es war wie ein kleines Dorf mit dicht aneinander platzierten Mobilhomes – rund 100 Helfer wohnen dort. Man bot mir einen Platz auf der Couch an, die ueberraschend gemuetlich war.

London

Ich wusste, dass Nina zu dieser Zeit in London war und schrieb ihr, waehrend ich im Bus fuhr. Sie wollte mich dort treffen und kam dann auch. Wir gingen in ein Pub und tranken Bier – sau teuer, fast sechs Pfund! Ich buchte auch gleich einen Bus nach Calais fuer den naechsten Tag. Nina war selbst nur zu Besuch und konnte mir keinen Schlafplatz anbieten, doch ich war ganz in der Naehe des Buttersea Parks, wo ich sicher zelten konnte.

Nachdem wir uns verabschiedet hatten, fragte ich eine Frau nach dem Weg. Sie gab an, in die selbe Richtung zu muessen und schlug vor den Bus zu nehmen. Sie wollte fuer mich zahlen, doch der Fahrer winkte ab und liess mich umsonst mitfahren. Bevor die Frau ausstieg, gab sie mir vier Pfund in Muenzen – fuer einen Kaffee, wie sie sagte. Der Fahrer sagte mir bescheid, als wir an der Victoria Coach Station waren, wo auch mein Bus abfuhr.

Ich schaute in der Nachbarschaft nach einem geeigneten Park und stellte fest, dass alle Parks in der Nacht verschlossen waren. So ging ich zum besagten Buttersea Park, der ganz in der Naehe war. Dieser war zum Glueck nicht verschlossen und ich packte mein Zelt aus, als ich feststellte, dass ich meine Heringe verloren hatte. Es regnete stark, sodass der Boden aufgeweicht war. Somit konnte ich Stoecke in die Erde treiben, die ein guter Ersatz waren.

Birmingham

Wir wollten uns alle hier im Haus treffen. Ein grosses Haus, das genug Platz bot. Ruben, einer der Bewohner hatte frei und ging mit mir Fish and Chips essen. Danach holten wir Silvia und Adria vom Bahnhof ab. Spaeter kamen auch Filipe und Caroline, sodass wir fast komplett waren – Jo kam direkt mit dem Zug.

Der sogenannte „Recrutment Day“ verlief gut. Man informierte uns ueber die Formalitaeten und den Ablauf, es gab zu essen und gegen Ende spielten wir Frisbee. Wir meldeten uns fuer dreizehn Festivals an. Nach der Personalbedarfsplanung informiere man uns, fuer welche Festivals wir eingesetzt werden wuerden. Das sollte noch einige Wochen dauern.

Wir blieben noch einen Tag laenger bei Ruben und reisten am Sonntag ab. Ich buchte einen Bus nach London fuer zehn Pfund und hatte einige Schwierigkeiten die richtige Haltestelle zu finden. Doch schliesslich kam ich puenktlich an und war bald in der Hauptstadt.

England – ein Tramperalptraum

Verkatert wachte ich auf, doch ich musste am 7. in Birmingham sein. Also nichts wie weiter! Weitere Stunden verstrichen , ohne Weiterkommen. Irgendwann gab ich auf und ging zum Bahnhof. Ein Ticket nach Birmingham kostete 85 Pfund! Ich hatte nurEuros und musste zurück in die Stadt zum wechseln. Ich tauschte 110 € und bekam knapp 90 Pfund. Als ich zurück am Bahnhof war, kostete das Ticket plötzlich 120 Pfund – wegen rush hour. So musste ich fünf Stunden warten, bis ich das „günstige“ Ticket kaufen konnte.

So legte ich mich auf den Boden und wartete. Dabei fiel mir ein Hügel auf, den man bestimmt besteigen konnte. So ging ich Richtung Hügel und fand einen Pfad, der nach oben führte. Zu meiner Überraschung war eine Festung in die Hügelspitze eingelassen. Die Dächer waren mit Gras bewachsen, sodass man die Festung von unten gar nicht erkennen konnnte. Ich lief durch den Graben, einmal herum und setzte mich dann ins Gras, von wo aus man eine tolle Aussicht über die Stadt und den Hafen hatte.

Als es endlich Zeit wurde, ging ich zum Bahnhof zurück und kam gegen 22 Uhr in Birmingham an. Joe, ein Freund, den ich in Belgrad kennen gelernt hatte, gab mir den Kontakt seiner Mitbewohner und Ruben holte mich vom Bahnhof ab. Ein weiteres Haus voller Musiker – herrlich.