Es sollen noch viele Tage folgen, an denen Tetris in Haft war, weil er keine Papiere hatte – die Ironie ist erschreckend, wo doch die Gefluechteten das selbe Schicksal teilen.
Ich werde meine Zeit in Calais hier zusammenfassen, da es mir nicht mehr moeglich ist, einzelne Tage voneinander zu trennen.
In Belgrad sind die meisten Gefluechteten in Camps untergebracht, womit die Grundbeduerfnisse groesstenteils gedeckt sind. Man sollte annehmen, dass sich die Bedingungen, in einer westlichen Industrienation, wie Frankreich, verbessern. Die Realitaet ist ernuechternd!
Vor ca. zwei Jahren war hier in Calais das groesste Camp Europas mit rund 10.000 Gefluechteten unterschiedlichster Nationen. Es gab staendig Spannungen, nicht zuletzt wegen nationaler Konflikte. Ausserdem berichteten die Medien und Calais bekam einen schlechten Ruf. Die Regierung schritt ein und schloss das Camp. Gleichzeitig wurden riesige Summen (groesstenteils aus England kommend) in Sicherung investiert. Die Stacheldraht- und Ueberwachungskameraindustrie muss ein Vermoegen verdient haben.
Heute leben die Gefluechteten versteut in kleineren Kommunen, die meistens Leute einer Nationalitaet beheimaten. Geschlafen wird in Zelten und wir bringen Wasser, Essen, Feuerholz, Strom zum Laden der Handys, WLAN, Tee, Kleidung, Zelte, Schlafsaecke, Decken und Hygieneprodukte. Ausserdem Krankenhausfahrten, rechtliche Beratung und Bildung – der Staat macht nichts.
Nun ja… nichts kann man nicht sagen. Nichts, das den Leuten hilft, trifft es wohl eher. Die Rolle des Staates liegt darin, den Leuten das Leben so schwer wie moeglich zu machen, damit sie sich endlich verpissen. Doch lasst mich etwas konkreter werden.
Pro Gefluechteten sind hier zwei Beamte im Einsatz und zwar von einem Sondereinsatzkommando des Militaers (CRS). Diese Einheit ist spezialisiert auf die Kontrolle von Menschenmassen, ausgestattet mit CS-Gas, Knueppel, Gummigeschossen, Helmen und Schildern. Wenn das Wetter besonders schlecht ist (und das kommt hier oft vor), wird eine „Saeuberung“ vorgenommen. Das hat mit dem Aufsammeln von Muell wenig zu tun. Zelte werden aufgeschlitzt und das Innere mit Gas ausgeraeuchert, was die Schlafsaecke und Decken unbrauchbar macht. Die auffaelligen Kleinbusse sind aus dem Stadtbild nicht wegzudenken und patroullieren unablaessig durch die Strassen. Gruppen werden von oeffentlichen Plaetzen verjagt – Gewalt ist an der Tagesordnung. Ich habe so viel Scheisse gesehen, dass ich nur noch kotzen koennte. Es ist eine Herausforderung fuer die Psyche diese Ungerechtigkeit zu verarbeiten. Im Namen von Freiheit, Gleichheit und Bruederlichkeit werden taeglich Menschenrechte buchstaeblich mit Fuessen getreten.
Wenige Stunden nach der „Raeumung“ (ein passenderer Begriff), sind wir vor Ort und vergeben neue Zelte und Schlafsaecke. Somit geraten wir ins Fadenkreuz der Regierung, da wir das gewuenschte Ergebnis der Raeumung rueckgaengig machen. Ab und zu wird das Tor zu unserem Warenhaus in der Nacht mit Gas besprueht und Einschuechterungen gegen Helfer sind gaengiges Mittel. Nun beginnt der Versuch der systematischen Kriminalisierung der Helfer. Die Polizei filmt uns waehrend der Ausgaben und plant wohl dadurch ein Gerichtsurteil zu erwirken.
Gleichzeitig dokumentieren wir, wie die Staatsgewalt gegen geltendes Menschenrecht verstoesst. Ich nahm an einer internen Schulung teil, wo man lernt, welche Rechte man hat, wie man sich gegenueber der Beamten verhaelt, welche Fragen man stellt, was man tut, wenn man abgefuehrt wird usw. Grundsaetzlich gilt, dass wir die Polizei filmen duerfen. In dem Moment, wo der Beamte eine Uniform traegt, ist er keine private Person mehr, steht er im Dienste des Staates und kann sich somit nicht auf die Sicherung seines Privatrechts berufen. Nach der Aufzeichnung wird das Material auf eine Datenbank geladen, wo es fuer Menschenrechtsverteidiger zur Verfuegung steht. Der aktuelle Bericht der UN stammt unter anderem aus diesen Daten. Hier heisst es:
“We are concerned about increasingly regressive migration policies and the inhumane and substandard conditions suffered by migrants,” said Felipe González Morales, the UN Special Rapporteur on the human rights of migrants.
“Migrants, regardless of their status, are entitled to human rights without discrimination, including access to adequate housing, education, healthcare, water and sanitation as well as access to justice and remedies. By depriving them of their rights or making access increasingly difficult, France is violating its international human rights obligations,” he added.
In addition, the experts also voiced concern over harassment and intimidation of volunteers and members of non-governmental organizations providing humanitarian aid to migrants and called on France to fulfil its obligations under international human rights law and promote the work of human rights defenders.
Uebersetzung:
„Wir sind besorgt ueber die anwachsende regressive Migrationspolitik und die unmenschliche und unzureichenden Zustaende, unter denen Migranten zu leiden haben,“ sagte Felipe González Morales, der UN Spezialreporter der Menschenrechte der Migranten.
„Migranten, ungeachtet ihres Status, haben Anspruch auf Menschenrechte ohne Diskriminierung. Dazu gehoert Zugang zu angemessener Unterkunft, Bildung, Krankenversorgung, Wasser und sanitaere Einrichtungen, sowohl auch Zugang zu Recht und Medikamenten. Indem Sie ihres Rechts beraubt oder Zugang zunehmend erschwert wird, wird Frankreich seiner Menschenrechtsverantwortung nicht gerecht,“ fuegt er hinzu.
Ausserdem haben Experten ihre Besorgnis ueber Belaestigung und Einschuechterung von freiwilligen Helfern und Mitgliedern von Nicht-Regierungs-Organisationen, die Migranten humanitaere Hilfe leisten ausgesprochen und fordert Frankreich dazu auf, seine Verpflichtung des internationalen Menschenrechts zu erfuellen und die Arbeit der Verteidiger der Menschenrechte zu foerdern.
Hier der Link zum vollstaendigen Bericht.
Hier ein weiterer Link zu einem Gestaendnis eines ehemaligen CRS-Beamten.